ZusammenWachsen in Europa

Von | 15. April 2014

30 Jahre GFPS:

ZusammenWachsen in Europa

Von Lisa Schulze

Auch 25 Jahre nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs, der ideologischen und tatsächlichen Spaltung Europas in „Ost“ und „West“ wird noch viel zu oft hinter den Grenzen des eigenen Landes das Unbekannte, das vermeintlich Fremde vermutet. Gegenseitige Unkenntnis aber lässt Vorurteile gedeihen, die Berührungsängste hervorrufen und gar in gegenseitige Ablehnung umschlagen können. Der Blick nach nebenan allerdings zeigt, dass uns viel mehr verbindet als trennt und zudem unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen in Politik, Kultur und Gesellschaft fruchtbar gemacht werden können, um voneinander zu lernen.

So möchte auch die GFPS (Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa) mit ihrem Engagement in Polen, Deutschland, Tschechien und Belarus dazu beitragen, dass in Europa, welches nicht hinter den Grenzen der Europäischen Union endet, noch mehr Brücken gebaut werden. In der Begegnung miteinander das gegenseitige Wissen übereinander zu vergrößern, Neugierde für die Nachbarländer zu wecken, Anknüpfungspunkte zu schaffen, – das ist das Ziel der Arbeit der GFPS.

Sie versteht sich dabei als Teil einer Graswurzelbewegung, die schon vor den politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozessen der neunziger Jahre in Mittel- und Osteuropa „Löcher in den Eisernen Vorhang bohren“ wollte, wie es der Vereinsgründer Georg Ziegler ausdrückte. Daher kann die GFPS bereits auf eine langjährige Geschichte zurückblicken und begeht im Jahr 2014 ein vierfaches Jubiläum. GFPS e.V. feiert ihr 30-jähriges Bestehen, GFPS-Polskas Gründung liegt 20 Jahre zurück, GFPS-CZ besteht seit 15 Jahren und das Belarusprogramm begann vor 10 Jahren. Das Jubiläumsjahr wurde am 21. Februar 2014 in Anwesenheit der Schirmherrin von GFPS e.V. Prof. Gesine Schwan, dem ehemaligen GFPS-Stipendiaten und derzeitigen polnischen Botschafter in Berlin Dr. Jerzy Margański und dem Vereinsgründer Georg Ziegler feierlich in Berlin eröffnet.

Das Herzstück der ausschließlich ehrenamtlich organisierten Vereinsaktivitäten ist das schon lange erfolgreiche Stipendienprogramm. Die Unterstützung unterschiedlicher Förderer ermöglicht es tschechischen, polnischen und belarussischen Studierenden ein Semester an einer deutschen Hochschule zu verbringen. Für Deutsche bieten GFPS-Polska und GFPS-CZ Studien- und Sprachkursstipendien in Polen und in Tschechien an. Seit einigen Semestern können Tschechen und Deutsche als Praktikanten das jeweils andere Land kennen lernen und seit einem Semester können Belarussen in Polen studieren. Bisher haben so über 1000 Stipendiaten ihre Nachbarländer kennengelernt. Außerdem haben junge Menschen auf Tandemsprachkursen für Polnisch, Deutsch, Tschechisch und mittlerweile auch (Bela)russisch die Möglichkeit ihre Sprachkenntnisse zu erproben. Darüber hinaus organisieren wir zahlreiche Seminare und kulturelle Projekte, die stets gleichermaßen intensive Auseinandersetzung mit bestimmten Themen und großes Vergnügen sind.

Im Jahr 2014 stehen unsere Veranstaltungen unter dem Motto „ZusammenWachsen“. Dies ist im doppelten Wortsinn zu verstehen. Einerseits verweist dieser Leitgedanke auf das Zusammenwachsen, auf die Verbindung miteinander; andererseits auf das Zusammen Wachsen, die gemeinsame Weiterentwicklung. Zu Beginn des Jahres haben wir auf Seminaren in Berlin und in Ústí nad Labem den gesamtgesellschaftlichen Kontext der Ausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ostmitteleuropa in den letzten 30 Jahren ebenso beleuchtet wie den konkrete Beitrag, den die GFPS in dieser Entwicklung leistete. In einem zweiten Schritt soll es auf einer Konferenz in Warschau (22. – 25. Mai) darum gehen, Perspektiven und Entwicklungspotentiale für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in Ländern der östlichen Partnerschaft (v.a. Belarus und Ukraine) zu diskutieren. In Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen ist eine wirkliche Aktivität in diesem Bereich, die über bloße Solidaritätsbekundungen hinausgeht, von besonderer Dringlichkeit.

Aktiv gelebte Solidarität war auch für die Entstehung der GFPS von großer Bedeutung. Die Anfänge der GFPS sind dabei im Zusammenhang der sich in den 1980er Jahren entwickelnden Graswurzelbewegungen zu sehen, die unterhalb der (über)staatlichen Ebenen agierten und so zu einer europäischen Einigung durch den Austausch der Menschen in „Ost“ und „West“ beitrugen.

Anfang der 1980er Jahre war es für polnische Studierende fast unmöglich, einen Studienaufenthalt in der Bundesrepublik zu verbringen. Umgekehrt war dies für Studierende aus der Bundesrepublik nicht annähernd so kompliziert. Es war jedoch äußerst ungewöhnlich

in einem Land des „Ostblocks“ zu studieren. Der Freiburger Student Georg Ziegler entschied sich aber bewusst für einen längeren Aufenthalt an der Katholischen Universität Lublin.

Nach seiner Rückkehr, reich an Erfahrungen und positiven Eindrücken, wollte er wenigstens einem von seinen polnischen Kommilitonen allen politischen Barrieren und Bürokratie zum Trotz ein Semester in Freiburg ermöglichen. So entstand die Idee der privaten Spendenaktion „30×20“: 30 Personen gaben jeweils für fünf Monate 20 DM.

Um jedoch möglichst vielen polnischen Studierenden einen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen, mussten weitere Wege der Finanzierung gefunden werden. Daher gründete sich 1984 in Freiburg ein Verein mit dem etwas sperrigen Namen GFPS – »Gemeinschaft zur Förderung von Studienaufenthalten polnischer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland e.V.«. In den folgenden Jahren förderte zunächst die Robert-Bosch-Stiftung die Aktivitäten des jungen Vereins. Hinzu kamen andere Institutionen, wie z.B. die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, das Deutsch-Polnische Jugendwerk, die Zeit-Stiftung, der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds sowie „Jugend in Aktion“.

Um die Betreuung der Stipendiaten kümmern sich seit jeher sogenannte Stadtgruppen, die von Anfang an die Basis der dezentralen GFPS-Struktur bilden: Freunde und Mitglieder der GFPS erledigen die Zulassung der Stipendiaten an der Universität, suchen ein Zimmer, helfen bei der Erledigung der Formalitäten und erleichtern das Einleben. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs engagierte sich auch der DAAD stärker in Polen und das Tempus-Programm der EU begann zu greifen. Die GFPS zeigte sich allerdings nun erst recht als eine Organisation, die neben der finanziellen Hilfe besonders auf den persönlichen Kontakt zwischen deutschen, polnischen sowie seit 1999 auch tschechischen und 2004 belarussischen Studierenden Wert legt. Viele langjährige Freundschaften zeugen vom Erfolg des Konzepts.

Im Jahr 1994 gründeten ehemalige Stipendiaten die polnische Partnerorganisation GFPS-Polska, die seitdem deutschen und mittlerweile auch belarussischen Studierenden einen Studienaufenthalt in Polen ermöglicht und unter der Schirmherrschaft von Władysław Bartoszewski steht. 1999 gründeten tschechische Studierende in Ústí nad Labem die dritte Organisation im Bunde: Janua linguarum reserata (seit 2004 GFPS-CZ). Als Konsequenz aus dieser Entwicklung benannte sich die GFPS – unter Beibehaltung der weithin bekannten Abkürzung – um in »Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa«.

Gemeinsam bringen die Partnervereine GFPS e.V., GFPS-Polska und GFPS-CZ jährlich zahlreiche junge Menschen aus den vier Ländern zusammen. So ist ein stetig wachsendes Netzwerk entstanden, das nachhaltig dazu beiträgt, gegenseitige Kontakte positiv zu gestalten und zu einer guten Nachbarschaft zu gelangen. Für viele ist der Kontakt mit GFPS der Beginn von gesellschaftlichem Engagement. Damit ermutigt GFPS junge Leute, ihr Potential auszuschöpfen oder überhaupt erst einmal zu erkennen. Die Aktivitäten der drei GFPS-Vereine sind so ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Ausbildung eines Netzwerks von Engagierten, die zur Entwicklung einer gesamteuropäischen aktiven, handlungsfähigen Zivilgesellschaft beitragen.

Weitere Informationen zum Verein und seinen Aktivitäten finden Sie hier: www.gfps.org