Ein exemplarisches politisches Leben

Von | 28. Juni 2024

Zum Tode von Dr. Egon Knapp (93)

Er gehörte nahezu ein halbes Jahrhundert dem Vorstand der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. an, nachdem er 1971 nach seiner Rückkehr aus der DDR nach Düsseldorf der Gesellschaft beigetreten war. Erst 2022, im Alter von 91 Jahren schied er aus dem Vorstand aus. Am 14. Juni 2024 verstarb unser Mitglied Dr. Egon Knapp im Alter von 93 Jahren. Die Urnenbesetzung findet am 3. Juli im engsten Familienkreis in seiner Heimat Schwetzingen statt. (Nachfolgend dokumentieren wir Auszüge aus einer Würdigung Egon Knapps anlässlich seines 90. Geburtstags durch den damaligen Vorsitzenden der Gesellschaft, Prof. Dr. Christoph Koch.)

Zu berichten ist über ein exemplarisches politisches Leben, das dem bundesdeutschen Normalverstand als das Leben eines von Moskau gesteuerten Feindes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des eigenen Landes gilt, das ungeachtet dessen jedoch der Musterfall eines seit dem Ende des Ersten Weltkriegs autochthonen Bestandteils der deutschen Geschichte ist, von dessen Ursprung und Charakter die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger dank eines Weltkriege und wechselnde Verfassungen überdauernden Antikommunismus nicht die geringste Vorstellung hat.

 Egon Knapp wurde am 2.2.1931 in Schwetzingen in einem kommunistischen Elternhaus geboren. Damit war einer der unverrückbaren Grundsteine seines Lebens gelegt. Der Vater war technischer Zeichner, die Mutter Kontoristin. Das Ehepaar hatte drei Söhne. Egon, der jüngste der Brüder, besuchte die Volksschule in Schwetzingen kriegsbedingt nur sechs Jahre lang. Als 13-jähriger arbeitete er anderthalb Jahre in einer Bäckerei, die unter anderem eine benachbarte Panzerkaserne der deutschen Wehrmacht belieferte. Unter den dort beschäftigten Zwangsarbeitern traf er auf die ersten Polen seines Lebens. Eine der Polinnen erzählte dem Jugendlichen, daß hier in Kürze sowjetische Panzer erscheinen würden, doch keine Angst, sie würden das Naziregime beenden, hätten aber keineswegs die Absicht, das deutsche Volk zu knechten, wie es die nationalsozialistische Propaganda den Volksgenossen eintrommelte.

 Nach Kriegsende arbeitete Egon zunächst ein Jahr auf einem Bauernhof, ehe er in einer Einrichtung der amerikanischen Armee Arbeit fand, in der er die untersten Sprossen der gängigen amerikanischen Karriereleiter erklomm, indem er vom Tellerwäscher zum Aushilfskoch aufstieg. Er hat den aussichtsreichen Weg nicht fortgesetzt, sondern erlernte zwischen 1947 und 1950 den Beruf des Schreiners. 1947 gehörte er zu den Begründern der Schwetzinger FDJ, in der er die Frau seines Lebens kennenlernte, die er 1950 heiratete. Gisela stammte aus einem katholischen Elternhaus, hatte aber engen Kontakt zu einem kommunistischen Onkel, dem Arbeiter Bruno Röske, den die Nazis im Zuchthaus Moabit vergebens aus dem Fenster hängten, um ihn zum Verrat seiner Genossen zu bewegen.

Egon Knapp bei einer Vorstandssitzung 2003.
Foto: Karl Forster

 Ähnliches gilt für Egon, dessen Familie aufs engste mit der Familie des Bezirksleiters der KPD in Halle Wilhelm Künzler verbunden war, der ein Schwager der Mutter war. Künzler überlebte eine zehnjährige Haft im systemüberdauernden Zuchthaus Hohenasberg bei Stuttgart, indem er sich als Korbmacher unentbehrlich machte, dessen Arbeit der Wehrmacht einen Teil der benötigten Munitionskörbe lieferte. Wenn die Kinder seine Frau auf dem Lande bei Pforzheim besuchten, so schickten die Eltern sie ohne Lebensmittelkarten, weil sie darauf vertrauten, daß Tante Anna sie mit Hilfe des gegenüberliegenden Bauernhofs, dessen Besitzer ein Nazi war, auf der Grundlage politische Abgründe überspannenden dörflichen Zusammenhalts durchfüttern konnte. Endlich hatte der Vater aus zusammengesuchten Teilen für die ganze Familie Fahrräder hergestellt, mit denen sie die kurze Entfernung zwischen Schwetzingen und Heidelberg-Kirchheim überwinden konnte, um die Familie des nicht verwandten Onkel Albert, dem Mitglied der Mannheim-Heidelberger Widerstandsgruppe Lechleiter zu besuchen, mit der sie seine Haftzeit hindurch um das Leben des Mannes bangte, bis ihn die Nazis enthaupteten. Albert Fritz hatte dem Zehnjährigen das kleine Photo eines Baumes gezeigt, an dem die Nazis fünf sowjetische Kriegsgefangenen aufgehängt hatten.

 Die Ereignisse der Nazizeit waren nicht geeignet, den Heranwachsenden in seinen politischen Einsichten zu beirren. Schon in jungen Jahren lief er seiner Zeit voraus und wurde Ende der vierziger Jahre badischer Jugendmeister im 3000 m-Lauf. 1950 nahm sich die Schwetzinger FDJ ein Beispiel und machte sich mit vierzig Jugendlichen zu Fuß zum ersten Deutschlandtreffen der Jugend für Frieden und Freundschaft in Ostberlin auf. Im gleichen Jahr ging Egon zusammen mit seiner Frau an die Arbeiterund Bauernfakultät der Humboldt-Universität in der Hauptstadt der DDR, wo er die Hochschulreife erlangte. Das Ziel beider Eheleute war der Arztberuf, der fortan den unantastbaren Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens bildete. Der Arztberuf war ihre Form des Dienstes am Menschen, der den Kernbestand der kommunistischen Ethik bildet.

 1953 begann Egon an der Karl-Marx-Universität Leipzig das Studium der Allgemeinen Medizin, das er 1958 mit dem Examen und zwei Jahre später mit der Promotion abschloß. Nach dem Studium war er zehn Jahre in der DDR als Arzt tätig, zunächst an der Kinderchirurgischen Klinik in Leipzig, wo er mit dem Ziel, dort eine kinderurologische Abteilung aufzubauen, die Ausbildung zum Facharzt für Kinderchirurgie, danach an der Urologischen Klinik in Berlin, wo er die entsprechende Ausbildung zum Facharzt für Urologie absolvierte.

  Egon war drei Jahre lang Mitarbeiter der Medizinischen Abteilung des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen der DDR. Seine Frau, die in Leipzig Innere Medizin studiert hatte, war währenddessen in der Poliklinik des ZK der SED in Berlin tätig. Nach dem Krieg sind Egon und Gisela Knapp mit dem Ehepaar Marysia und Adam König, einer polnischen Jüdin und einem deutschen jüdischen Kommunisten, befreundet, die beide Häftlinge in Auschwitz waren, wo Adams Eltern ermordet wurden. Beide waren nach Kriegsende nach Amerika gegangen, flohen jedoch vor den Diskriminierungen der MacCarthy-Zeit 1950 in die DDR. Adam König studierte in Leipzig Geschichte, gehörte dem Vorstand des Internationalen Auschwitzkomitees an und war zeitlebens als allseits gefragter Zeitzeuge der nazistischen Verbrechen aktiv.

Egon Knapp im Mai 2020 bei einem Interview mit dem Kommunalinfo Mannheim einem linken, alternativen, unabhängigen und nicht-kommerziellen Print- und Onlinemedium über sein politisches Engagement in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA). Das Video ist über die Internetseite •https://tinyurl.com/yy4zghwc• aufrufbar. 

 Nachdem die KPD 1968 auf das Angebot der Zulassung einer Neukonstituierung der kommunistischen Partei eingegangen war, kam Egon Knapp als medizinischer Betreuer des späteren Ehrenvorsitzenden der DKP Max Reimann, dessen Gesundheit ärztliche Fürsorge erforderte, in die Bundesrepublik. Hier übernahm er zusammen mit seiner Frau die Praxis eines Kollegen im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim, die bis 1990 den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit in der BRD bildete. Das Ansehen, das sie sich als Ärztin für Innere und als Arzt für Allgemeine Medizin in ihrem Stadtteil erwarben, bildete die Grundlage dafür, daß Egon Knapp in den siebziger Jahren bei einer Wahl zum Düsseldorfer Stadtrat als Kandidat der DKP einen Achtungserfolg erzielte. Bereits zuvor hatte ihn Jupp Angenfort, der als ehemaliger Angehöriger der Wehrmacht seine bewegte politische Laufbahn im Nationalkomitee Freies Deutschland begann und dem die Verständigung mit den von der deutschen Wehrmacht verwüsteten osteuropäischen Ländern am Herzen lag, auf die in Gestalt der Brandt’schen Ostpolitik fortgeschriebene Problematik des Verhältnisses zwischen der BRD und Polen aufmerksam gemacht. Seither gehört er nahezu ein halbes Jahrhundert dem Vorstand der Deutsch- Polnischen Gesellschaft an, der bei seinem Eintritt im Jahre 1971 von Düsseldorf aus eine steigende Zahl im ganzen Bundesgebiet verstreuter Mitglieder betreute.

 Egon war eine nüchterne Stimme, die im Vorstand mitunter aufscheinenden Überschwang in der Einschätzung von Errungenschaften in Polen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen wusste und keinerlei Zugeständnisse an die durch die Politik des Wandels durch Annäherungen genährten Illusionen über den tatsächlichen Charakter der deutschpolnischen Beziehungen machte. Der verlässlichen Geradlinigkeit des Politikers und der unermüdlichen Einsatzbereitschaft des Arztes Egon Knapp entspricht seine Hilfsbereitschaft im privaten Leben.