Gegen die aggresive antideutsche Politik

Von | 29. September 2022
Die Konferenz der Botschafter der Republik Polen ist eine Vereinigung ehemaliger Vertreter der Republik Polen, deren Ziel es ist, die Außenpolitik zu analysieren, neue Bedrohungen für Polen zu erkennen und Empfehlungen auszusprechen. Wir wollen eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Uns eint die gemeinsame Arbeit und Erfahrung bei der Gestaltung der Position Polens als moderner europäischer Staat, als bedeutendes Mitglied der Transatlantischen Gemeinschaft. Wir sind der Überzeugung, dass die Außenpolitik die Interessen Polens vertreten sollte und nicht die der Regierungspartei.
Mitbegründer der Botschafterkonferenz ist POLEN-und-wir-Autor Prof. Dr. Jan Barcz, ehem. polnischer Botschafter in Wien.
In nachfolgendem Text nimmt die Konferenz zur antideutschen Politik der polnischen Regierung Stellung.
 
Die aggressive antideutsche Politik ist einem bestimmten Ziel der Vereinigten Rechten untergeordnet: dem Aufbau einer autoritären Macht in Polen. Das heutige Deutschland ist eine stabile liberale Demokratie und die stärkste Wirtschaft in Europa.
 
      1. Eine strategische Neuausrichtung der Beziehungen zu Russland wird inzwischen von einer deutlichen Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit unterstützt. Die heftigen politischen Auseinandersetzungen über das Tempo und die sozialen Kosten dieses Prozesses zeigen, dass Deutschland einfach noch einen längeren Weg vor sich hat.
Dort hat die Bankrotterklärung der Russlandpolitik eine grundsätzliche Debatte über die Rolle Deutschlands in der Welt ausgelöst. Das kann man nicht mit den Dilemmata anderer vergleichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg moralisch diskreditiert, wurde Deutschland immerhin die Chance gegeben, der demokratischen Gemeinschaft beizutreten. Und es überrascht niemanden, dass es in der Außenpolitik Selbstbeschränkung gewählt hat. Bei der Rollenverteilung im Westen setzt es in seinen Beziehungen zu Russland auf Dialog mit Elementen der Abschreckung, während andere auf Abschreckung mit Elementen des Dialogs setzten.
Für Putins Russland war dies jedoch eine Gelegenheit, einen Keil zwischen die westlichen Länder zu treiben, und für die deutsche Wirtschaft eine Gelegenheit, politische Skrupel auszunutzen. Mitwachsendem Erstaunen haben wir die Zusicherung erhalten, dass Deutschland „nichts tun wird, um den Dialog mit Putin zu behindern“, denn schließlich hatten wir gesehen, dass er an keinem Dialog interessiert war.
       2. Doch heute ist in Deutschland eine neue Normalität ausgerufen worden, die eine Abkehr vom Mantra der „Sicherheit nur mit Russland“ hin zu einer kontrollierten Konfrontation mit einem Gegner bedeutet, der mit Gewalt die internationale Ordnung zerstören will. Berlin hat die Verteidigungsausgaben radikal erhöht. Sie nimmt Aufgaben wahr, um den Schutz des östlichen Teils der Union zu gewährleisten. Sie spielt eine Schlüsselrolle in der europäischen schnellen Eingreiftruppe und bei der Stärkung der Ostflanke.
Damit wird ein revolutionärer Wandel eingeläutet, auch wenn einige Prozesse noch zu langsam sind. Diese Veränderungen sowie die Aufrechterhaltung der Einheit in Europa sollten jedoch für ein Frontland, wie es Polen heute ist, von grundlegender Bedeutung sein.
Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, den Streit mit dem westlichen Nachbarn eskalieren zu lassen und aus der antideutschen Hysterie politisches Kapital für innenpolitische Zwecke zu schlagen. In der Zwischenzeit scheinen sich die polnischen Behörden lieber an der Hetze zu beteiligen, als „eine gemeinsame Antwort zu finden“.
      3. Vielleicht wäre die Union besser auf den Schock des russischen Angriffs auf die Ukraine vorbereitet gewesen, wenn der Herbst der Nationen 1989 mehr Raum und tiefere Reflexion im europäischen Gedächtnis gefunden hätte. Die Union versucht nun, diesen Rückstand aufzuholen, sie befindet sich in einer Phase der „Ost-Orientierung“. Städte, Regionen und NRO in den Mitgliedstaaten spielen dabei eine wichtige Rolle, indem sie ukrainische Bürger unter ihrem Dach willkommen heißen. Das heißt, in der EU.
In den Gesellschaften und politischen Eliten findet eine mentale Revolution statt: Sie betrachten den Osten nicht mehr durch die russische Brille, sondern sehen dort Subjekte mit eigenen Identitäten und Geschichtsinterpretationen. Sie beginnen zu begreifen, dass Putins Revisionismus weitgehend darauf zurückzuführen ist, dass der Westen die Erfahrungen in Mittel- und Osteuropa nicht berücksichtigt hat.
Deutschland steht nun unter dem Druck, mehr Verantwortung für die Einheit Europas und den Schutz seiner östlichen Mitglieder zu übernehmen.
Als größter EU-Staat wird von Deutschland nicht mehr erwartet, dass es sich davor scheut, in der Außenpolitik aktiver zu werden. Gleichzeitig erkennt es, dass es viel von seiner Glaubwürdigkeit eingebüßt hat und dass eine kooperative Führung mit einer stärkeren Beteiligung ihrer östlichen Nachbarn eine sinnvolle Option sein könnte. Im Gegenzug könnten diese Nachbarn, insbesondere Polen, im Rahmen einer ereignisgesteuerten „Ost-Orientierung“ der Union mehr Instrumente mit echtem Einfluss erhalten. Vorausgesetzt natürlich, dass sie bereit sind, das Schicksal der Gemeinschaft auf sich zu nehmen und mit anderen zusammenzuarbeiten, um sie zu stärken.
Die polnischen Regierungseliten schließen sich jedoch vorerst von diesem Prozess aus. Sie verspielen ihre Chancen, indem sie die Beziehungen zu Deutschland vergiften und sich passiv oder sogar feindselig gegenüber Reformen in der EU verhalten.
      4. Unterdessen muss die EU die Zusammenarbeit in vielen Bereichen verstärken, um ihre Abhängigkeit von Russland und China zu verringern und sich gegen ein ungünstiges Szenario in den USA abzusichern. Nur wenn sie ihre Reihen schließt, kann sie Demokratie, Menschenrechte und den freien Markt wirksam verteidigen. Sie braucht mehr operative Effizienz, um den Herausforderungen des Krieges zu begegnen und weiter expandieren zu können. Beides liegt im vitalen Interesse Polens.
Die deutschen Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit innerhalb der Union, die Abschaffung der Einstimmigkeit in der Außenpolitik und des Vetos bei den Erweiterungsverhandlungen sind ein Versuch, diesen Erwartungen gerecht zu werden. In der polnischen Regierungselite wurden sie sofort als bloße Manifestation der „imperialistischen“ Reflexe Berlins angeprangert.
Natürlich können nicht alle diese Vorschläge heute auf breite Unterstützung zählen. Es ist jedoch unübersehbar, dass die polnische Regierung nicht im Geringsten daran interessiert ist, die Probleme gemeinsam mit den Deutschen zu lösen. Sie braucht sie viel mehr in der Rolle des Feindes „auf Abruf“, gegen den sie eine hartgesottene Wählerschaft mobilisieren kann.
      5. Der Vorwurf, Deutschland strebe eine Hegemonie an, trägt dazu bei, die Ressentiments der Öffentlichkeit gegenüber der Union zu verstärken und gleichzeitig Versuche, sie zu verbessern, zu blockieren. Die Haltung, die Gemeinschaft – de facto – zu schwächen, steht in krassem Gegensatz zur Unterstützung der Mitgliedschaft der Ukraine.
Es ist, als ob die polnische Regierung eine andere Art von Union für die Ukraine wollte, zum Beispiel eine, die sich nicht in die Rechtsstaatlichkeit einmischt.
Die Voraussetzung für die Einleitung von Wiederaufbauprogrammen für Kiew unter Beteiligung von Drittländern und internationalen Institutionen ist jedoch gerade die Einführung von EU-Verfahren und -Garantien in diesem Bereich. Aus diesem Grund hielt es der Westen für grundlegend wichtig, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren.
      6. Auch die These, dass Berlin die Föderalisierung der EU durchsetzt, um seine Vormachtstellung zu behaupten, ist sehr weit hergeholt. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung in Berlin ist zwar vorgesehen, ein „föderales Europa“ anzustreben, aber – wie die Verfasser dieser Bestimmung bereits mehrfach erklärt haben – ging es darum, den Prozess der europäischen Integration politisch zu unterstützen. Es ist der Sprachgebrauch, an den sich Deutschland gewöhnt hat.
Noch wichtiger ist jedoch, dass die Annahme des mehrjährigen Finanzrahmens (des Kernhaushalts der Union) weiterhin von den Staaten und nicht von der Kommission beschlossen wird. Deutschland hat sich nicht nur nicht für eine „föderale“ Lösung eingesetzt, sondern mit großem Widerwillen und unter dem Druck der Südstaaten einer teilweisen und bedingten Vergemeinschaftung der Schulden mit dem so genannten Wiederaufbaufonds zugestimmt.
Was also die Verteilung der Mittel aus beiden Haushalten betrifft, so haben wir es hier bestenfalls mit einem Schritt in Richtung einer Union der engeren Zusammenarbeit zu tun, die im Übrigen durch die Notwendigkeit des Überlebens und nicht durch die imperialen Ambitionen Berlins motiviert ist. 
Die aggressive antideutsche Politik ist einem bestimmten Ziel der Vereinigten Rechten untergeordnet: dem Aufbau einer autoritären Macht in Polen.  Das heutige Deutschland ist eine stabile liberale Demokratie und die stärkste Wirtschaft in Europa, ein willkommener Verbündeter Polens im Kampf gegen den russischen Revisionismus.
Sobald die PiS von der Macht entfernt ist, sollte ein wesentliches Element der Reaktivierung der polnischen Außenpolitik eine Hinwendung zu einer wohl überlegten Zusammenarbeit mit Deutschland sein.
 

  Zsfg.: JP  
https://wyborcza.pl/7,75968,28926200,punkt-zwrotny-w-polityce-niemiec-szansa-dla-polski.html