Ein Teil meines Herzens

Von | 9. August 2022

Tagebuch 1942 – 1944

Ein Teil meines Herzens

Tagebuch 1942-1944

Am 30. Mai dieses Jahres veröffentlichte der Stadtpräsident von Warschau, Rafał Trzaskowski, im Internet einen Post, in dem er über den Tod von zwei am Warschauer Aufstand beteiligten Personen informierte. Unter ihnen Jolanta Kolczyńska, die über ihre Freundin Helga Ziegelitz, Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, sowie unser früheres Mitglied Renate Weiß mit unserer Gesellschaft verbunden war.
In der Erklärung Trzaskowski heißt es: „Die Hauptstadt Warschau verlor zwei weitere Helden, Teilnehmer des Warschauer Aufstands. Jolanta Kolczyńska „Klara“, eine Verbindungsoffizierin des Bataillons „Chrobry II“ und Stefan Laube „Adam“, ein Schütze des Bataillons „Sokół“, sind von uns gegangen.“
Jolanta wurde am 16. November 1928 als Jolanta Mirosława Zawadzka in der Familie von Stanisław (Professor für Wirtschaftswissenschaften) und Gabriela (Malerin und Lehrerin) Zawadzki geboren. Ihr Vater wurde 1940 von der deutschen Besatzungsmacht verhaftet. „Jola“ begann ihre konspirative Tätigkeit 1942 mit dem Transport von Waffen zu Partisaneneinheiten. Am 1. August 1944 trat sie der Chrobry II Gruppe bei . Sie wurde vereidigt und begann als Verbindungsoffizierin unter dem Kommando von 2nd Lt. Leonard Kancelarczyk. Während des gesamten Aufstands beförderte sie Berichte, u.a. an General Bor-Komorowski . Bei einer der Aktionen wurde sie durch eine Sprührakete leicht am Bein verletzt. Nach der Kapitulation des Aufstands verließ sie, wie vom Kommando angeordnet, Warschau mit der Zivilbevölkerung, da sie noch keine 16 Jahre alt war. Sie landete in einem Durchgangslager in Ursus . Dann kam sie nach Komorów . Dort setzte sie ihre Ausbildung am Gymnasium und Realschule für Mädchen fort. wo sie 1947 ihr Abitur machte. Im selben Jahr kehrte sie mit ihrer Familie nach Warschau zurück.
Beruflich war Jolante Kolczyńska als Journalistin tätig. Sie war viele Jahre Mitglied des Präsidiums des Verbandes der Warschauer Aufständischen.
In den 1990er Jahren regte sie über ihre Kontakte zur Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland an, das Buch mit dem Tagebuch ihrer Jugendfreundin Wanda Przybylska aus den Tagen des Warschauer Aufstandes auch in Deutschland zu verlegen. Es war in vielen Ländern Europas und in Japan bereits 40 Jahre zuvor erschienen, allerdings nicht in den beiden deutschen Staaten.
In dem Buch hatte Wanda auch über ihre Freundin Jola geschrieben. Wanda starb am 4.9.44 auf der Flucht mit ihren Eltern.
Die Suche nach einem Verlag war nun erfolgreich. Im Frühjahr 2006, fast ein Jahr nach dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, konnten die Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen (Regionalgruppe der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der BRD) und der Donat-Verlag Bremen das Buch der Öffentlichkeit vorstellen. Mit Anwesend der ehemalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnick, der ein bewegendes Vorwort zu dem Buch geschrieben hat.
Ebenfalls Anwesend bei der Präsentation die ältere Schwester von Wanda, Jadwiga Przybylska-Wolf, und natürlich Jolanta Kolczyńska, auf deren Vorschlag das Projekt beruhte.
Eine Reihe weiterer Veranstaltungen zur Präsentation des Buches mit Jola fanden auch im Raum Berlin statt.
Nun hat die Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland den noch vorhandenen Bestand der Bücher aufgrund einer großzügigen Spende des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Friedrich Leidinger vom Verlag übernommen und plant unter dem Arbeitstitel „Friedenslesung“ in diesem Jahr weitere Buchlesungen. Eine findet am 30.9. im Studio Bildende Kunst in Berlin-Lichtenberg statt.

Buch gegen Spende erhältlich

Das Buch, bisheriger Ladenpreis 12.80€ ist ab sofort gegen eine Spende von mindestens 5 Euro bei der Redaktion POLEN und wir erhältlich. Bitte überweisen Sie Ihre Spende auf das Konto der Deutsch-Polnischen Gesellschaft:

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unter Angabe des Wortes „Buchspende“ sowie Ihres Namens als Verwendungszweck und senden Sie uns eine e-mail mit ihrer genauen Anschrift an redaktion@polen-und-wir.de . Die Anschrift können Sie uns auch unter Angabe Ihrer Telefonnummer auf unseren Anrufbeantworter sprechen: Tel.: 030-89370650.

Bitte berücksichtigen Sie bei Ihrer Spende auch die entstehenden Versand- und Portokosten. Sie können gerne auch mehrere Exemplare bestellen, denken Sie schon mal an Weihnachtsgeschenke etc.

Ein Teil meines Herzens …

Am 1.9.1939 wurde Polen von Nazideutschland überfallen. Es wird besetzt. Der Krieg führt durch Polen in die Sowjetunion und der Rückzug wieder durch Polen. Fast bis zum unmittelbaren Ende des Krieges wüten die Faschisten. Hinterlassen wird ein verwüstetes Land. Kaum eine Familie ist verschont geblieben. Das Tagebuch erscheint in Deutschland 60 Jahre nach Beendigung des II. Weltkrieges, eines Krieges, der viele Millionen Menschenleben gekostet hat. Seine unmenschliche Wirkung ist noch heute gegenwärtig. Es ist fast unmöglich, sachlich über ein solch emotionsgeladenes Büchlein zu berichten. In dem vorliegenden Tagebuch schildert ein polnisches Mädchen seine Gefühle und Erlebnisse in dieser Zeit des Terrors und der Qualen für das polnische Volk.
Das Leben von Wanda war von ihrem 9. Lebensjahr an, von den Kriegsereignissen geprägt. Sie beginnt das Tagebuch 1942 und führt es, mit Unterbrechungen, bis Ende August 1944, bis zu ihrem Tode. Sie wurde auf der Flucht mit ihren Eltern aus dem Zentrum der Kämpfe des Warschauer Aufstandes erschossen.
Im Geleitwort zur deutschen Ausgabe schreibt Hans Koschnick: „Hatte uns das Tagebuch der Anne Frank vor Jahrzehnten Anstoß zu einem solchen Nachdenken gegeben, es handelte von einer jungen jüdischen Heranwachsenden im Pubertätsalter, die über Monate hinweg in Amsterdam in einem Versteck leben musste und schließlich doch kurz vor der Befreiung im KZ Bergen-Belsen verstarb, so wird mit diesem hier vorliegenden Werk die Erfahrens- und Gedankenwelt einer gleichartigen polnischen Heranwachsenden aufgezeigt. Eindringlich werden sichtbar, mit welchen Belastungen und Empfindungen die Lebensspanne dieser zur Frau Heranreifenden beschwert wird. Auch hier geht es um die authentische Wiedergabe einer Lebenssituation.“
Mit 12 Jahren beginnt Wanda das Tagebuch als „ein Teil ihres Herzens“ zu schreiben. Sie ist ein ganz normales Mädchen mit Flausen im Kopf, aber auch mit Träumen. Immer wieder schreibt sie sich ihre Seele frei von den schrecklichen Erlebnissen des Krieges. Ihre Betrachtungen gehen weit über die Gedankenwelt einer 12 jährigen in friedlichen Zeiten hinaus. Sie stellt sich und ihren Freundinnen solche Fragen, wie: Was ist Glück? Was ist Wahrheit? Wozu sind Träume wichtig?
Ihre Träume nehmen am Ende ihres Tagebuches, das so je beendet wurde, Gestalt an. Ein Aufsatz zeigt wie sie sich Warschau 20 Jahre nach dem Kriege vorstellt. Sie nutzt auch die Briefform, um Ihre Gedanken zu äußern. Im Sommer 1942 schreibt sie an eine Freundin: „…..Danusia, hast Du schon gehört, wie sanft die Kiefern säuseln? Was hast Du in dem Moment gedacht? Hast Du irgendwann an unser Vaterland gedacht? …… Ich sah, wie der Krieg tobte und die um unser Vaterland kämpfenden Soldaten. Ich sah sehr viel Blut, Elend und Hunger. Ich sah vor Kälte Sterbende, hörte ihr Stöhnen und Weinen. Was dachtest Du an diesem traurigen Tag?“ Das Mädchen ist 12 Jahre! Worüber machen sich unsere 12 Jahre alten Kinder, Enkel Gedanken?
In ihrem Tagebuch werden die Ereignisse im Land und in Warschau reflektiert. Am 24. April 1943 berichtet sie kurz über den Ghettoaufstand: „Schon seit einer Woche tobt ein erbitterter Kampf. Die Juden leisten im Ghetto Widerstand. Alle paar Sekunden sind Kanonenschüsse und Gewehrschüsse zu hören.“
Nur ein paar Tage später am 3. Mai 1943 äußert sie sich zum Polnischen Nationalfeiertag, dem Tag der Verfassung: „Heute gehe ich nicht zur Schule, denn es ist Feiertag. Es ist der 3. Mai, für die Polen ein großes Fest. Schon drei Jahre lang wurde dieser Feiertag nicht begangen. Wir, in den illegalen Schulen, feiern ihn trotzdem.“
Zur Arbeit im Untergrund gehörten illegale Schulen, sogar Universitäten. In der gleichen Notiz kommt sie noch einmal auf den Widerstand der Juden im Ghetto zurück. „Es ist wahr, es sind nur noch sehr wenige, und sie verteidigen sich mit letzter Kraft. Fast das gesamte Ghetto brennt.“ Es wurde dem Erdboden gleich gemacht.
Im zweiten Teil des Tagebuchs, nachdem sie etwa ein Jahr die Eintragungen unterbrochen hatte, schildert sie die Zeit kurz vor dem Warschauer Aufstand, der am 1. August 1944 begann und den Warschauer Aufstand selbst. Am 24. Juli 1944 schreibt sie: „Es beginnt heiß zu werden, aber eigentlich ist es schon heiß. Der Krieg kommt eiligen Schritts daher. Die Bolschewisten scheinen Flügel zu haben, und die Deutschen ebenso, nur dass sie fliehen.“ Wanda befindet sich zu dieser Zeit in Otwock bei Bekannten. „Ich schaue zu den Sternen und sehne mich nach Warschau. … Warschau wurde bombardiert. Jeden Abend denke ich an meine Mutter, an meinen Vater, … an die, die ich liebe und die in Gefahr sind! Ich denke an sie und sorge mich. …“ Nach Warschau zurückgekehrt beschreibt sie die Situation. „Nein – es ist schrecklich die ganze Woche über fielen Bomben. …. Nicht mehr lange und die Stunde des Blutvergießens ist da. Nicht mehr lange, und die Stunde des Kampfes schlägt…..“
Dienstag, den ersten August, ist es so weit. Die Niederschrift zeugt von Angst, aber auch davon, wie sich Wanda selbst Mut macht. „Nach fünf Jahren flattern wieder die weiß-roten Fahnen im Wind, beim Aufhängen jeder Fahne klatschen wir. Angeblich geht alles einigermaßen, wahrscheinlich kann man sogar sagen, es geht gut“
Wanda beschreibt das Auf und Ab des Kampfes der polnischen Kämpfer. Am 28. August kommt sie auf dem Hof ihres Wohnhauses wieder einmal in eine lebensbedrohliche Situation. Ihr Mantel beginnt zu brennen. Sie wirft ihn geistesgegenwärtig weg. Am 29 August ist die letzte Eintragung im Tagebuch und am 4. September stirbt Wanda auf der Flucht mit ihren Eltern und ihrer Schwester aus dem Zentrum der Kämpfe.