PiS: Polen, das Herz Europas

Von | 20. Mai 2019

In diesem Jahr zwei wichtige Wahlen

Kaczyńskis kopernikanische Wende

Kurz vor Ostern trafen sich in Warschau die Außenminister Polens und Deutschlands. Auf Einladung des Polnischen Instituts für Außenpolitik und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik stellten sich Jacek Czaputowicz und Heiko Maas unter dem Motto „Die Zukunft Europas“ den Fragen der interessierten Öffentlichkeit. Maas überraschte mit dem Bonmot, dass es in der Europäischen Union eigentlich nur zwei Arten von Ländern gebe: Kleine Länder und Länder, die noch nicht gemerkt hätten, klein zu sein. Czaputowicz hingegen konterte, dass Länder wie Polen gut daran täten, stärker und größer zu werden, denn das komme nun der gesamten Gemeinschaft zugute. Maas hatte, um seine These zu bekräftigen, Erscheinungen wie Globalisierung, Klimawandel oder Migration ins Feld geführt, Herausforderungen also, gegenüber denen kein einziges Land der EU noch alleine gewappnet sei. Der Amtskollege aus Polen konterte kurzerhand mit dem Verweis auf die Geschichte.
Zu den wichtigsten Überzeugungen im Regierungslager Polens gehört, dass das Land nach dem Zweiten Weltkrieg für viele Jahrzehnte in besonderer Weise bestraft gewesen sei, weil der Westen seinen treuesten und verlässlichsten Verbündeten in diesem Teil Europas im Stich gelassen habe. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ging öffentlich sogar soweit, zu behaupten, in der fraglichen Zeit habe ein Polen gar nicht existiert. Aus all diesen schiefen Gründen spielen die Fragen der nationalen Identität aus Sicht der in Warschau Regierenden eine viel größere Rolle, als diejenigen, die in Brüssel das Sagen hätten, es sich eingestehen würden. Ein Europa der Vaterländer werde gebraucht, so wie die Begründer der Gemeinschaft es einst auch verstanden hätten, ansonsten – das Beispiel Großbritanniens zeige es – werde die EU auseinanderfallen.

Polen, das Herz Europas. Wahlplakat der PiS in Warschau. Fotos: Opal


Entsprechend hat nun Jarosław Kaczyński die Richtung gewiesen, um das von ihm angeführte Regierungslager in die beiden großen Wahlschlachten zu führen, die dem Land heuer bevorstehen. Während die Regierungsgegner nämlich frech behaupteten, die Kaczyński-Leute wollten das Land aus der EU führen, sei es ganz umgekehrt. Polen, so die zentrale Losung des Regierungslagers, sei das Herz Europas. Der Parteiführer versprach, dass es mit diesem Herzen ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten nicht geben werde, Polen also nicht abgehängt werde, das hätten nämlich – so die unterschwellige Drohung – Brüssel, Paris oder Berlin gar nicht zu entscheiden. Zugleich versprach er, dass dem Land die nationale Währung erhalten bleibe, also die Gemeinschaftswährung nicht übernommen werde. Die innenpolitischen Gegner sollten sich öffentlich erklären, was sie mit dem Złoty vorhätten.
Um einen Popanz zu schaffen, mit dem die Zumutungen aus Brüssel glaubhaft illustriert werden, die in das Land schwappen würden, sobald die Gegner das Regierungsruder wieder in die Hand bekommen sollten, wird im nationalkonservativen Lager nun seit Wochen gegen Lesben und Schwule zu Felde gezogen. Deren Ideologie zersetze in gefährlichem Maße die nationale Identität, die schließlich auf dem Fundament von Familie und christlichen Werten ruhe. Die Hatz steigert sich bis hin ins Absurde, denn hier und da erkühnen sich Funktionsträger der Nationalkonservativen bereits mit der Forderung, territoriale Räume in Polen zu schaffen, die von dieser Ideologie unbehelligt blieben. Die Botschaft des Regierungslagers ist klar, denn gezeigt werden soll, wie fest die katholische Kirche im Herzen Europas hinter den Kaczyński-Leuten stehe.
Und pünktlich meldet sich auch Staatspräident Andrzej Duda zurück, der nun behauptet, dass diejenigen, die dauernd vor einem schleichenden Austritt Polens aus der EU warnten, mit dem Feuer spielten, weil sie nationale Interessen verletzten. Das sagt jener Mann, der noch vor kurzem die EU als eine imaginäre Gemeinschaft bezeichnet hatte, die hinter fester gefügten Gemeinschaften zurückzutreten habe.
Dem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki kommt schließlich jener Part zu, insbesondere den für den Wahlausgang so wichtigen jüngeren Wählerschichten glaubhaft zu machen, dass alleine die nationalkonservative Regierung die Rezepte wüsste, wie der noch immer beträchtliche Abstand zum durchschnittlichen Entwicklungsniveau des Westens so schnell wie möglich aufgeholt werden könne. Da indes jeder in Polen überzeugt ist, dass diese Perspektive der einholenden Entwicklung nur unter den Bedingungen einer EU-Mitgliedschaft zu erreichen ist, gerieren sich die Kaczyński-Leute nun plötzlich als die wahren, als die einzigen Europäer im Land. Das billige Versprechen liegt auf der Hand: Wir schaffen den schnellen Anschluss und bleiben als nationale Gemeinschaft dennoch ganz diejenigen, die wir nun einmal seit Jahrhunderten sind.